Eine aktuelle Studie des General Hospitals in Massachusetts / USA beschreibt einen 56-prozentigen Anstieg von medizinischen Ästhetik-Behandlungen durch die erhöhte Verbreitung von Videoanrufen. Die Zunahme der Heimoffice-Arbeit soll die sogenannte "Zoom-Dysmorphophobie" anheizen. Millionen von Büroangestellten arbeiten seit fast einem Jahr aus der Ferne und kommunizieren mit ihren Kollegen oder Geschäftspartnern per Videoanruf. Während viele Zoom, Microsoft Teams und Google Hangouts als "Rettungsanker" bezeichnen, legen neue Untersuchungen nahe, dass das Starren auf ein "verzerrtes Bild auf dem Bildschirm" für bis zu mehrere Stunden am Tag bei einigen eine "negative Selbstwahrnehmung" hervorruft.
Die Wissenschaftler des Massachusetts General Hospital schickten eine Umfrage an mehr als 100 Dermatologen in den USA. Die Antworten belegen, dass vermehrt kosmetische Eingriffe aufgrund der weit verbreiteten Nutzung von Videotelefonaten gewünscht werden. Vier von fünf (80%) gaben an, dass sich die Patienten auf ihre Stirn konzentrierten, während 78% angaben, dass sie mit der Augenpartie unzufrieden waren. Zudem berichteten 77% der Dermatologen, dass die Patienten über Falten im oberen Gesichtsbereich besorgt waren, während 64% dunkle Augenringe feststellten, 53% sich über dunkle Flecken im Gesicht und 50% sich über einen schlaffen Hals beklagten.
"Eine Person wird auf nicht nur mit viel größerer Intensität und Häufigkeit als je zuvor mit ihrem eigenen Spiegelbild konfrontiert, sondern sie starrt eben auf ein verzerrtes Spiegelbild", sagte Studienautor Dr. Shadi Kourosh aus Harvard. " Eine Frau in den 50ern ließ sich zum Beispiel die Augenlider liften, nachdem ihr Job immer virtueller wurde. Ihr Alterungsprozess wurde ihr nach eigenen Aussagen viel bewusster. Eine 24-jährige Beauty-Influencerin, die sich im Dezember einer Kinnauffüllung unterzog, meint: "Meine größte Schwachstelle, mein Doppelkinn, wurde mir durch die Videocalls noch deutlicher bewusst."
"Unsere Ergebnisse zeigen, dass der Trend darauf zurückzuführen sein könnte, dass die Menschen sich ihres Aussehens bewusster werden und ihre Gesichtszüge vom Hals aufwärts genauer unter die Lupe nehmen, da sie täglich ihr Spiegelbild auf Video sehen", schreiben die Wissenschaftler. Mehr als vier von fünf (82%) der Dermatologen gaben an, dass ihre Patienten entweder "etwas mehr" oder "deutlich mehr" unzufrieden mit ihrem Aussehen waren, seit sie verstärkt Videokonferenzen nutzen. Die Wissenschaftler aus Massachusetts warnten, dass die "technologische Schnittstelle und die nach vorne gerichteten Kameras" von Videokonferenzen "Gesichtsproportionen verzerren können, was die Wahrnehmung von Problemen mit dem eigenen Aussehen verursacht oder verschlimmert". Eine Studie aus dem Jahr 2018 fand heraus, dass ein Foto, welches aus einer Entfernung von 30 cm aufgenommen wurde, "die wahrgenommene Größe der Nase um etwa 30 % erhöht, verglichen mit einem Bild, das aus einer Entfernung von 1,5 m aufgenommen wurde". Die kürzere Brennweite einer Webcam kann auch zu einem "insgesamt runderen Gesicht, breiter gesetzten Augen, breiterer Nase, höherer Stirn und verschwindenden Ohren, die von den Wangen verdeckt werden" führen. Videoanrufe "verdichten das Aussehen in ein 2D-Bild, was dazu führt, dass ein abgestufter Schatten entlang einer gekrümmten Fläche wie der Nase als flacher, verdunkelter Bereich erscheint". Dadurch werden auch Augenringe dunkler wahrgenommen. "Dies führt zu einer Besorgnis über Aspekte des Aussehens, die vielleicht nicht wirklich oder nicht in dem Ausmaß korrigiert werden müssten, wie der Patient es befürchtet", schreiben die Wissenschaftler.
Es ist übrigens nicht das erste Mal, dass auf Zoom-Dysmorphophobie aufmerksam gemacht wird.
Im Jahr 2019 schrieben einige der gleichen Wissenschaftler in der Zeitschrift Facial Plastic Surgery & Aesthetic Medicine: "Ein Leben, das unverhältnismäßig viel mit Zoom verbracht wird, kann eine selbstkritische, vergleichende Reaktion auslösen, die dazu führt, dass Menschen sich Behandlungen unterziehen, die sie vielleicht nicht in Betracht gezogen haben, bevor sie monatelang mit einem Videobildschirm konfrontiert waren." Diese Experten haben auch schon von der sogenannten "Snapchat-Dysmorphophobie" (wir berichteten – hier klicken) gesprochen. Der Trend zu Selbstoptimierung hat also durchaus auch ihre Wurzeln in der Technik, mit der wir täglich umgehen.
Foto: fizkes / iStocck